Abschied vom ehemaligen Anzeigenleiter des Spandauer Volksblatts
2021 haben Leser, Verlag und Redaktion den 75. Geburtstag des SPANDAUER VOLKSBLATT gefeiert. Am 26. März 2022 ist nun ein Mann verstorben, der im alten Erich Lezinsky Verlag (dem Verlag, der die Tageszeitung herausgab) maßgeblichen Einfluss hatte. Der ehemalige Anzeigenleiter und spätere Herausgeber eigener Titel: Gerhard Dünnhaupt.
Gerhard Dünnhaupt war ab den 70er Jahren bis zum Ende des SPANDAUER VOLKSBLATT als Tageszeitung zuerst für kurze Zeit Personalchef und dann bis 1992 Anzeigenleiter des Verlags in der Neuendorfer Straße. Dieser umtriebige Mann – den nicht wenige Weggefährten für einen verkappten Theaterimpressario hielten – war es, der Verlegerin Ingrid Below-Lezinsky zusätzlich die Gründung eines Anzeigenblattes vorschlug. Also eines kostenlos verteilten, nur durch Inserate und Beilagen finanzierten Wochenblattes. Während die West-Berliner Abonnementzeitung SPANDAUER VOLKSBLATT selbst in ihren besten Zeiten nie wesentlich über 25.000 Exemplare verkaufter Auflage hinauskam (davon der Großteil im Heimatbezirk Spandau), konnte man mit dem Wochenblatt und einer verteilten Auflage von um die 100.000 Auflage fast alle Haushalte in Spandau erreichen. Dies war ein gut vermittelbares Argument für zahlende Inserenten. Das neue Blatt, man nannte es SPANDAUER ANZEIGER (im Volksmund „SPAZ“) war anfänglich eigentlich noch kein echtes Wochenblatt, weil es nur 14tägig erschien. Es entwickelte sich schnell zu einer festen Säule im Verlagsgeschäft in Spandau und erschien nach wenigen Jahren wöchentlich. Nach der Schließung der Tageszeitung 1992 und dem gescheiterten Versuch einer Weiterführung des SPANDAUER VOLKSBLATT als bezahlter Wochenzeitung war es der SPANDAUER ANZEIGER, der nun unter dem Namen SPANDAUER VOLKSBLATT als Wochenzeitung weitergeführt wurde. In gewisser Weise ist Gerhard Dünnhaupt damit einer der Gründer des SPANDAUER VOLKSBLATT in seiner heutigen Form. Inzwischen ist der Titel Teil der Zeitungen des Berliner Wochenblatt Verlags und gehört nicht mehr zur Axel Springer, sondern zur Funke Gruppe.
Aber der Reihe nach: Gerhard Dünnhaupt wurde am 28. Mai 1937 in Berlin-Mitte geboren. Ein sehr enges Verhältnis verband ihn mit der Mutter, was ihn aber auch schon in jüngeren Jahren nicht davon abgehalten haben soll, ständig unterwegs zu sein. Er hatte eine jüngere Schwester. Nach einer Ausbildung zum Schriftsetzer betrieb er zusammen mit einem Partner die Druckerei „Dünnhaupt & Müller“ in Berlin-Neukölln, die aber nach einiger Zeit wieder geschlossen wurde. Es folgte ein einjähriges Intermezzo beim Stuttgarter Heraldikverlag. Aber Schwaben war wohl nichts für den umtriebigen Berliner und so kehrte er in die Heimat zurück.
Nach der Pensionierung des alten Anzeigenleiters Heinz Jacobi übernahm Gerhard Dünnhaupt dessen Aufgabenfeld. Der genaue Termin ließ sich nicht ermitteln. Wohl erinnere ich mich an die zahllosen Wutausbrüche meiner Mutter, der Zeitungsverlegerin Ingrid Below-Lezinsky: „Was hat der Dünnhaupt denn jetzt schon wieder gemacht?!“ Vor allem, wenn wieder einmal unerwartete Honorarrechnungen diverser Künstler bei ihr eingingen, die Gerhard Dünnhaupt für einige der zahlreich von ihm (mit)initiierten Veranstaltungen ungefragt engagiert hatte. Ob „Spandauer Autofete“, „Kolkfest“ oder „Spandauer Weihnachtsmarkt“. Nichts, bei dem Gerhard Dünnhaupt nicht federführend mitmischte und solche Ereignisse immer mit anzeigenträchtigen Sonderseiten oder ganzen Sonderdrucken begleitete. Dem Spandauer Volkstheater „Varianta“ griff er mit Veröffentlichungen unter den Arm und im legendären Varianta-Impresario Wolfgang Nusche (verst. 2018) meinte man häufig Gerhard Dünnhaupt spiegelbildlich zu erkennen.
Seine besondere Leidenschaft aber galt dem „SPAZ Treff“. Das war eine Mischung aus Talkshow und Varieté, welches Dünnhaupt organisierte und mit dem er durch Spandauer Hotels tingelte. Vor allem im Siemensstädter Novotel traf sich unter der Moderation des Schlagersängers Bert Beel eine große Fangemeinde.
Gerhard Dünnhaupt war offiziell auch Werbeleiter des Verlags. Und somit verbuchte er viele seiner Künstlerhonorare unter „Werbebudget“. Zwischen der Verlegerin und dem Anzeigenleiter, es ist bereits angedeutet worden, bestand wegen der ständigen Extrakosten eine gewisse Hassliebe. Ein steter Quell des Streits waren auch hunderte von Exemplaren des SPAZ, die Gerhard Dünnhaupt als Werbestücke an Geschäftsadressen versenden ließ. Das dahinterliegende Problem besteht bis heute: Beliefert werden mit einem Wochenblatt vor allem einzelne Haushalte. Viele Geschäfte oder Geschäftsleute, die in Spandau arbeiten, aber nicht wohnen, erhielten das Blatt nicht automatisch. Diese entscheiden aber über Inserate. Bei ihnen wollte Dünnhaupt das Blatt bekanntmachen. Die Verlegerin wiederum musste die ab den 70er Jahren notorisch knappe Kasse im Blick behalten.
Dass Gerhard Dünnhaupts viele Events lieber unter der Marke des SPANDAUER ANZEIGER laufen ließ und weniger unter dem Namen der Tageszeitung, zeigt, dass die Beziehung zwischen der eher linksliberal-intellektuellen Tageszeitungsredaktion und dem jovial-bodenständigen Anzeigenleiter nicht nur von Harmonie geprägt war. „Die Zeitung ist für viele einfache Spandauer Leser zu verkopft,“ war seine gelegentlich geäußerte Meinung. Beim SPAZ dagegen hatte er freie Hand und es war tatsächlich auch viel einfacher dafür Anzeigen zu verkaufen. Irgendwann wurde ihm sogar eine eigene Redakteursstelle bewilligt.
Noch zu West-Berliner Zeiten wollte man den Erfolg in Spandau in anderen Bezirken fortsetzen. Aber die ANZEIGER-Ausgaben beispielsweise in Charlottenburg und im Wedding waren kein wirtschaftlicher Erfolg. Der Siemensstädter Markt, eine Ausgliederung aus dem SPAZ, wurde später wieder in das größere Wochenblatt zurückintegriert. Mit dem Mauerfall begann dann noch einmal eine sehr aufregende Zeit. Der Verlag, an dem sich – bei der Leserschaft heftig umstritten – der Axel Springer Verlag beteiligt hatte, versuchte in alte Verbreitungsgebiete in das Havelland vorzustoßen. Bis hin nach Neuruppin, Rathenow, Oranienburg und Potsdam, vor allem aber in Falkensee und Dallgow organisierte Gerhard Dünnhaupt fulminante Werbeveranstaltungen. Diesmal mit einem neuen Freund: Olaf Hameyer war ein Entertainer aus der untergehenden DDR und seine Version des „Brandenburgerlieds“ – „Steige rot du roter Adler“ – hatte es Dünnhaupt angetan. Keine Veranstaltung, bei der es nicht erscholl.
Aber es nutzte alles nichts. Der Verlag überschätzte seine finanziellen Möglichkeiten, eine so weit gespannte Regionalzeitung von Spandau aus zu betreiben. Übrig blieben, bis zur Neuordnung der Presselandschaft auch im Land Brandenburg, der recht erfolgreiche HAVELLAND ANZEIGER, der dann aber durch Verteilzeitungen der Brandenburger Regionalverlage MAZ, MOZ, Schenckelberg u.a. abgelöst wurde. Die wachsende Konkurrenz von westdeutschen Zeitungskonzernen, die inzwischen in Berlin Titel übernommen hatten, führte schrittweise, noch vor dem beginnenden Siegeszug des Internets, zur Einstellung des alten SPANDAUER VOLKSBLATT. Gerhard Dünnhaupt musste sein vollgepfropftes kleines Büro in der schlauchartigen Anzeigeabteilung im Hinterhof der Neuendorfer Straße 101 räumen. Vom Axel Springer Verlag großzügig abgefunden, verließ er den Erich Lezinsky Verlag, bevor dieser in die Springer Wochenblätter und später in die Funke Mediengruppe integriert wurde.
In den Folgejahren versuchte Gerhard Dünnhaupt sich in vielen Verlagsbereichen. Er gab ein monatliches Spandauer Stadtjournal heraus und arbeitete dabei zeitweilig mit dem ehemaligen Lokalblatt „Nordberliner“ und dessen Druckerei zusammen. Er organisierte Künstlerstammtische und Werbeevents, beispielsweise für Autohäuser und verlegte einige Jahre lang in Spandau ein Blatt für Senioren.
In den letzten Jahren wurde es ruhiger um Gerhard Dünnhaupt. Mit einer beginnenden Demenz musste er sich herumplagen, besuchte aber von seiner Wohnung im Westend aus regelmäßig seine geliebte Spandauer Altstadt und tüftelte immer wieder einmal an neuen Projekten. Seit 2020 lebte Gerhard Dünnhaupt – er war zweimal verheiratet – in einer Wohngemeinschaft für Demenzerkrankte und verstarb dort am letzten Mittwoch im März – begleitet bis zum Schluss von seiner Ziehtochter und einer langjährigen Freundin.
Mittwoch, das war jahrzehntelang der Erscheinungstermin „seines“ SPANDAUER ANZEIGER. „Die schönsten Jahre meines Lebens waren die Jahre in Spandau!“ So hat er es mir immer wieder mit Begeisterung wiederholt.
Olaf Lezinsky
5. Mai 2022

Stimmen von Weggefährten
Wenn ich an GERHARD DÜNNHAUPT denke, fallen mir sofort die 70er Jahre ein, als er meine ersten Schritte im Showgeschäft begleitet hat. Wie und wann immer er konnte, gab er mir die Chance, mich zu präsentieren. So wurde ich schnell in Spandau „weltberühmt“. Ich fuhr im offenen Ami-Schlitten durch die Straßen und verteilte Blumen an die Damen. Eine Idee von GERHARD DÜNNHAUPT. Ob im Kolk, in der Altstadt, im Hafen oder in Autohäusern stand ich auf den Brettern, die die Spandauer Welt bedeuteten. Dank GERRY, wie man ihn liebevoll nannte. Von 1986 bis Anfang der 90er Jahre hatte ich im SPANDAUER ANZEIGER eine Kolumne:“…unter uns gesagt!“ mit Plaudereien über Prominente und Menschen wie Du und ich. Auch das war eine Idee von GERHARD DÜNNHAUPT. Ein großer Erfolg wurde dann unsere Talkshow SPAZtreff, die ich mit der wunderbaren CLAUDIA KARSTEDT moderiert habe. In den letzten Jahren war GERHARD DÜNNHAUPT ständiger Gast unseres Künstlerstammtischs „FRÖHLICHE MUSIKANTEN“ in der Filmbühne am Steinplatz. Da ihn sein Namensgedächtnis verlassen hatte, gab er uns Namen, die zur allgemeinen Heiterkeit beitrugen. Darauf taufte ihn eine Stammtischfreundin „OTTOKAR“, was ihm sichtlich gefiel. Und so trank er jeden Dienstag mit seiner Taufpatin Helga ein bis zwei Eierlikörchen. Den haben wir auch am letzten Dienstag beim Stammtisch getrunken, als letztes PROSIT auf GERHARD DÜNNHAUPT.
Bert Beel, Entertainer und Sänger
+++
Eine traurige Nachricht. Das letzte Mal habe ich Gerhard bei einem Volksblatt-Treffen vor ca. drei Jahren im Raucherzimmer bei Toni am Stresow getroffen. Gern stellte er sich als Gerard Thinhead vor. Gemeinsam mit Manfred Volkmar haben wir uns zu dritt im Zwiebelfisch am Savignyplatz getroffen und die ersten Traditionstreffen vorbereitet. Unsere späteren Treffen am Steinplatz hatte Gerhard aufgrund seiner guten Kontakte dorthin (u.a. Bert Beel) organisiert. Er hat mich zu seinen besseren Zeiten häufig angerufen und immer wieder auf neue Treffen gedrungen. Er hatte auch ziemlich lange die doch recht abwegige Idee, unser altes Volksblatt wiederzubeleben. So hatte er stets Musterbögen dabei und wollte am liebsten gleich wieder durchstarten. Oft wusste man nicht, wie ernst das alles gemeint war. Aber wir kannten uns eben und konnten mit den Eigenheiten gut leben. Nun hat die umtriebige Seele Ruhe. Ein herzliches Beileid den Angehörigen. Gerhard wird uns, den Volksblatt-Überlebenden, fehlen.
Paul Duwe, Redakteur
+++
Ich erinnere mich noch, wie es damals in den 80ern war, wenn man z.B. etwas Kritisches über ein Medienkaufhaus geschrieben hatte und Gerhard Dünnhaupt dann versuchte, dort Anzeigen zu akquirieren- und einem Rüffel erntete, wegen der Berichterstattung, den er indirekt an die Redakteurin weitergab. War sicher nicht einfach damals, Anzeigenchef beim Volksblatt zu sein… Allerdings war man als Redakteurin gut geschützt von der Ressortleitung. Die Trennung zwischen Redaktion, PR und Anzeigengeschäft ist heute nicht mehr so selbstverständlich. R.I.P.
Barbara Dribbusch, Redakteurin
+++
Ja, unser „Dünni“, möge er seine Ruhe finden. Er war derjenige, den man auf jeder Veranstaltung rund um den Spandauer Markt traf; auch wenn er uns in der letzten Zeit nicht mehr gleich erkannt hat. Seine fröhliche Art zu fragen, wer man denn sei, wird in Erinnerung bleiben.
Uschi Ehlert, Sekretärin
+++
Ich kenne Herrn Dünnhaupt von Anfang an. Vor allem als Personalchef. Ich habe mit ihm sehr lange um eine Lohnerhöhung gesprochen. Er hat alles akzeptiert. Aber zum Schluss hat er dann die Lohnerhöhung zu meiner Enttäuschung abgelehnt. Ich habe ihn aber als sehr netten, aber etwas chaotischen Kollegen kennen gelernt (besonders bei der Herstellung seiner Anzeigenzeitung).
Peter Wittwer, technische Abteilung
+++
Ach, ja: die Anzeigen. Beim Relaunch 87/88 wurde ja das gesamte Erscheinungsbild verändert. Was mich aber störte, waren die kleinen Anzeigen von Ringfoto Fehse auf der Eins. Sie versauten ein bisschen das frische Großstadt-Layout. Dünnhaupt hat sie – leider erfolgreich – verteidigt, mich sonst aber sehr in dieser radikalen Umbruchphase unterstützt. Er war nach meinem Eindruck die dynamischste unter den dortigen Führungskräften.
Christian Walther, Journalist
+++
Wer nun wirklich die Idee mit dem Anzeigenblatt hatte? Herr Dünnhaupt oder Muttern (Verlegerin Ingrid Below-Lezinsky)? Wer kann es sagen? Wahrscheinlich hätten beide behauptet, dass die Idee von ihnen sei. Da hatten sich wirklich die richtigen getroffen…
Rainer Lezinsky, ehemaliger Mitgeschäftsführer des Erich Lezinsky Verlags
Archiv aktuelle Berichte